Ein Montag in London (Notting Hill Carnival, Teil 2 / Völkerverständigung in der Hotelbar)
Jetzt, da der Alltag mich zurück hat, komme ich endlich dazu, die ausstehenden Infos zum Montag des Notting Hill Carnival in London zu liefern.
Der Montag fing schon mal gut an. Ein paar Schritte von meinem Hotel entfernt bekam ich einen ersten Vorgeschmack auf den Karnevalsumzug: Zwei Tänzerinnen standen in voller Carnival-Montur vor einem Kiosk und warteten auf eine Kollegin.
Dieses Bild aus einer Filiale der Supermarktkette Tesco, die ca. zwei Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt ist, gibt einen kleinen Eindruck davon, wie sehr auch die Wirtschaft in umliegenden Stadtteilen vom Carnival profitiert - und wie im Dienste der Volksgesundheit ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit garantiert wird.
Vielleicht lebe ich ja hinterm Mond, oder ich kenne ausgerechnet nur die deutschen Städte, in denen es diese Innovation noch nicht gibt: Aber ich habe in besagtem Tesco mein Festival-Bier zum ersten Mal an einer Selbstbedienungskasse bezahlt. Produkt einscannen, auf eine Waage stellen, bezahlen, fertig!
Über den Notting Hill Carnival kann ich nicht viel berichten, was ich nicht schon in meinem Beitrag über den Sonntag erzählt habe. Auch wenn ich mich wiederhole: Ich war komplett begeistert! Ich hatte mir einen Platz ausgeguckt, von dem aus ich freien Blick auf die Parade hat (und, eine Seltenheit!, in dessen Nähe sich Toiletten befanden, die nicht vollkommen überfüllt waren). Ich habe extra auf die Uhr geschaut, um den Augenblick zu "konservieren": Um 16.50 Uhr war es, da hatte ich einen Glücksmoment, wie man (bzw. der Herr Dr.) ihn selten erlebt. Alles war genauso, wie ich es liebe (und das auch noch gleichzeitig an einem Fleck) - tolle Musik, mitreißende TänzerInnen, leckeres Essen, harmonische Stimmung. Perfekt!
Dieses Video gibt nur einen kleinen Eindruck wieder:
(Kamera, Ton und Schnitt: DrYes ;-) / Lustigerweise ist das Video heute in der Top 100 der meistabgerufenen Videos in der YouTube-Kategorie "Travel & Places" - gut, dazu haben 79 Abrufe gereicht, aber macht ja nix. ;-) )
Nach neun Stunden Dauerbedröhnung machte ich mich groggy, aber glücklich um 21 Uhr auf den Heimweg (vorbei an der Portobello Road, die sich in zwei Tagen von einer schnieken Einkaufsstraße in eine Müllhalde verwandelt hatte) - und stieß kurz vorm Hotel auf den allerletzten Teil des Zugs, den ich bisher noch nicht gesehen hatte. Ein schöner Abschluss!
Da ich am Dienstag um fünf Uhr morgens aufstehen musste, nahm ich mir vor, wirklich nur ganz kurz in der Hotelbar zu verweilen. Dort wartete auf mich erst mal eine mitternächtliche Überraschung: Der Barkeeper, ein ältere Asiate, konnte sprechen! Nachdem er an den Abenden zuvor nur den Rechnungsbetrag über die Lippen bekam, lieferte er sich mit einem Atheisten aus Sheffield eine lange Debatte über die Existenz Gottes. Wofür Mitternacht in der Hotelbar natürlich die perfekte Zeit und der perfekte Ort sind.
Dann kam wirklich Leben in die Bude. Zwei Pärchen betraten die Bar, mit Liegestühlen der mexikanischen Biermarke Corona unterm Arm, und mit diversen anderen sperrigen Corona-Artikeln. Sie stammten auch aus Sheffield, was natürlich in einer lautstarken Verbrüderung mit dem Atheisten an der Theke resultierte.
Da Corona bei Promotion-Aktionen ab und zu kleinere Corona-Souvenire verschenkt, fragte ich die Vier, wie viele Coronas sie denn trinken mussten, um diese großen Artikel abzustauben. "Kein einziges!", war die Antwort. "Wir haben dem Kollegen, der den Abbau des Corona-Stands bewachte, einfach zehn Pfund gegeben." Auch eine Lösung.
Mein Sitznachbar und Hauptgesprächspartner, Tischler Duncan, stellte mir ohne große Nachfrage einen weiteren Pint Guinness hin, den ich im Interesse der Völkerverständigung trotz meiner guten Vorsätze ohne große Proteste akzeptierte. Duncan präsentierte mir unter anderem die These, dass das englische und das deutsche Volk auch historisch gesehen besonders enge Seelenverwandte seien, weil beide sich gern besaufen würden. Wir kamen überein, dass diese Tatsache von kleingeistigen Geschichtsbuchschreibern bisher sträflich unterdrückt wurde. Irgendwann riss ich mich los, aber vorher tauschte ich mit Duncans Frau Clare E-Mail-Adressen aus. Wenn mich mein Schicksal in Zukunft jemals wieder nach Sheffield verschlagen sollte, ist jetzt laut Clare ein Gästezimmer für mich frei.
Der Fernsehjunkie in mir musste natürlich in der letzten Londoner Nacht auch noch kurz zappen - und stieß dabei um 1.45 Uhr auf die britische Version der Late-Night-Sendung von "Big Brother". Eine Warntafel wies sensible Gemüter darauf hin: "Diese Sendung kann Nacktheit und anstößige Sprache beinhalten ." Das stimmte auch, allerdings mit Einschränkungen: Die "anstößige Sprache" kam häufig vor. Allerdings bekam man sie nur mit, wenn man Lippen lesen konnte. Sie wurde nämlich ausgeblendet, wodurch Nichteingeweihte über weite Teile der Sendung eine Tonstörung vermuten dürften. Nacktheit gab's auch, allerdings musste man sie sich denken - im Gegensatz zur deutschen BB-Version befanden sich selbst in der britischen Late-Night-Sendung Milchglasscheiben zwischen Duschendem und Zuschauer. (Was mich als Nicht-Voyeur eher freut als stört, allerdings ist die Warntafel dadurch eher als "irreführende Werbung" zu betrachten.) Ansonsten sah man noch per Nachtsicht-Kamera viele Minuten lang einfach nur schlafende BB-Insaßen.
Eine noch schlimmere Zeitverschwendung als die deutsche "Big Brother"-Sendung. (Kaum zu glauben, aber wahr.)
Obwohl der Kollege an der Hotel-Rezeption meinen Weckruf um fünf Uhr verpennte, verschlief ich nicht. Und hatte so zum ersten Mal das Vergnügen, einen komplett leeren Londoner U-Bahn-Wagen zu sehen.
Wer mehr vom Carnival sehen möchte, dem lege ich die folgenden Blogs ans Herz: Jonny Goes to England (für Fotos) und Jacques in London (für Videos).
Der Montag fing schon mal gut an. Ein paar Schritte von meinem Hotel entfernt bekam ich einen ersten Vorgeschmack auf den Karnevalsumzug: Zwei Tänzerinnen standen in voller Carnival-Montur vor einem Kiosk und warteten auf eine Kollegin.
Dieses Bild aus einer Filiale der Supermarktkette Tesco, die ca. zwei Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt ist, gibt einen kleinen Eindruck davon, wie sehr auch die Wirtschaft in umliegenden Stadtteilen vom Carnival profitiert - und wie im Dienste der Volksgesundheit ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit garantiert wird.
Vielleicht lebe ich ja hinterm Mond, oder ich kenne ausgerechnet nur die deutschen Städte, in denen es diese Innovation noch nicht gibt: Aber ich habe in besagtem Tesco mein Festival-Bier zum ersten Mal an einer Selbstbedienungskasse bezahlt. Produkt einscannen, auf eine Waage stellen, bezahlen, fertig!
Über den Notting Hill Carnival kann ich nicht viel berichten, was ich nicht schon in meinem Beitrag über den Sonntag erzählt habe. Auch wenn ich mich wiederhole: Ich war komplett begeistert! Ich hatte mir einen Platz ausgeguckt, von dem aus ich freien Blick auf die Parade hat (und, eine Seltenheit!, in dessen Nähe sich Toiletten befanden, die nicht vollkommen überfüllt waren). Ich habe extra auf die Uhr geschaut, um den Augenblick zu "konservieren": Um 16.50 Uhr war es, da hatte ich einen Glücksmoment, wie man (bzw. der Herr Dr.) ihn selten erlebt. Alles war genauso, wie ich es liebe (und das auch noch gleichzeitig an einem Fleck) - tolle Musik, mitreißende TänzerInnen, leckeres Essen, harmonische Stimmung. Perfekt!
Dieses Video gibt nur einen kleinen Eindruck wieder:
(Kamera, Ton und Schnitt: DrYes ;-) / Lustigerweise ist das Video heute in der Top 100 der meistabgerufenen Videos in der YouTube-Kategorie "Travel & Places" - gut, dazu haben 79 Abrufe gereicht, aber macht ja nix. ;-) )
Nach neun Stunden Dauerbedröhnung machte ich mich groggy, aber glücklich um 21 Uhr auf den Heimweg (vorbei an der Portobello Road, die sich in zwei Tagen von einer schnieken Einkaufsstraße in eine Müllhalde verwandelt hatte) - und stieß kurz vorm Hotel auf den allerletzten Teil des Zugs, den ich bisher noch nicht gesehen hatte. Ein schöner Abschluss!
Da ich am Dienstag um fünf Uhr morgens aufstehen musste, nahm ich mir vor, wirklich nur ganz kurz in der Hotelbar zu verweilen. Dort wartete auf mich erst mal eine mitternächtliche Überraschung: Der Barkeeper, ein ältere Asiate, konnte sprechen! Nachdem er an den Abenden zuvor nur den Rechnungsbetrag über die Lippen bekam, lieferte er sich mit einem Atheisten aus Sheffield eine lange Debatte über die Existenz Gottes. Wofür Mitternacht in der Hotelbar natürlich die perfekte Zeit und der perfekte Ort sind.
Dann kam wirklich Leben in die Bude. Zwei Pärchen betraten die Bar, mit Liegestühlen der mexikanischen Biermarke Corona unterm Arm, und mit diversen anderen sperrigen Corona-Artikeln. Sie stammten auch aus Sheffield, was natürlich in einer lautstarken Verbrüderung mit dem Atheisten an der Theke resultierte.
Da Corona bei Promotion-Aktionen ab und zu kleinere Corona-Souvenire verschenkt, fragte ich die Vier, wie viele Coronas sie denn trinken mussten, um diese großen Artikel abzustauben. "Kein einziges!", war die Antwort. "Wir haben dem Kollegen, der den Abbau des Corona-Stands bewachte, einfach zehn Pfund gegeben." Auch eine Lösung.
Mein Sitznachbar und Hauptgesprächspartner, Tischler Duncan, stellte mir ohne große Nachfrage einen weiteren Pint Guinness hin, den ich im Interesse der Völkerverständigung trotz meiner guten Vorsätze ohne große Proteste akzeptierte. Duncan präsentierte mir unter anderem die These, dass das englische und das deutsche Volk auch historisch gesehen besonders enge Seelenverwandte seien, weil beide sich gern besaufen würden. Wir kamen überein, dass diese Tatsache von kleingeistigen Geschichtsbuchschreibern bisher sträflich unterdrückt wurde. Irgendwann riss ich mich los, aber vorher tauschte ich mit Duncans Frau Clare E-Mail-Adressen aus. Wenn mich mein Schicksal in Zukunft jemals wieder nach Sheffield verschlagen sollte, ist jetzt laut Clare ein Gästezimmer für mich frei.
Der Fernsehjunkie in mir musste natürlich in der letzten Londoner Nacht auch noch kurz zappen - und stieß dabei um 1.45 Uhr auf die britische Version der Late-Night-Sendung von "Big Brother". Eine Warntafel wies sensible Gemüter darauf hin: "Diese Sendung kann Nacktheit und anstößige Sprache beinhalten ." Das stimmte auch, allerdings mit Einschränkungen: Die "anstößige Sprache" kam häufig vor. Allerdings bekam man sie nur mit, wenn man Lippen lesen konnte. Sie wurde nämlich ausgeblendet, wodurch Nichteingeweihte über weite Teile der Sendung eine Tonstörung vermuten dürften. Nacktheit gab's auch, allerdings musste man sie sich denken - im Gegensatz zur deutschen BB-Version befanden sich selbst in der britischen Late-Night-Sendung Milchglasscheiben zwischen Duschendem und Zuschauer. (Was mich als Nicht-Voyeur eher freut als stört, allerdings ist die Warntafel dadurch eher als "irreführende Werbung" zu betrachten.) Ansonsten sah man noch per Nachtsicht-Kamera viele Minuten lang einfach nur schlafende BB-Insaßen.
Eine noch schlimmere Zeitverschwendung als die deutsche "Big Brother"-Sendung. (Kaum zu glauben, aber wahr.)
Obwohl der Kollege an der Hotel-Rezeption meinen Weckruf um fünf Uhr verpennte, verschlief ich nicht. Und hatte so zum ersten Mal das Vergnügen, einen komplett leeren Londoner U-Bahn-Wagen zu sehen.
Wer mehr vom Carnival sehen möchte, dem lege ich die folgenden Blogs ans Herz: Jonny Goes to England (für Fotos) und Jacques in London (für Videos).
- Zum Samstag in London (Borough Market / Brixton / Southall)
- Zum Sonntag in London (Speakers Corner / Notting Hill Carnival)
DrYes - 30. Aug, 01:20
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